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Wie Psychologie und Feminismus Hand in Hand gehen können

  • Johanna König
  • 5. Juli
  • 5 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 7. Juli

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Lange Zeit habe ich mich persönlich hin- und hergerissen gefühlt zwischen meinen Leidenschaften: der Psychologie und dem Feminismus. Mir schien es sogar, als stünden die beiden Disziplinen im Widerspruch zueinander.


Einerseits fasziniert mich das komplexe Innenleben der menschlichen Psyche. Die Psychologie verspricht, Licht in die Geheimnisse unserer Gedanken, Gefühle und unseres Verhaltens zu bringen. Doch je tiefer ich eintauchte, desto mehr hatte ich das Gefühl, die Psychologie konzentriert sich zu stark auf das Individuum. Oft geht es darum, persönliche Probleme zu erkennen und Wege zu finden, damit die einzelne Person wieder "funktioniert" – und das im Rahmen der bestehenden gesellschaftlichen Strukturen. Der Blick ist dabei eher nach innen gerichtet, auf die Anpassung an eine gegebene Realität.


Andererseits treibt mich eine tiefe Überzeugung in Bezug auf soziale Gerechtigkeit und Gleichberechtigung an, die ich im Feminismus gefunden habe. Hier liegt der Fokus eben nicht bei der einzelnen Person, sondern bei den gesellschaftlichen Strukturen. Der Feminismus prangert Ungleichheiten, Missstände und systemische Diskriminierung an. Er will das Individuum aus der Schusslinie nehmen, indem er die Wurzeln von Problemen in der Gesellschaft sucht und diese verändern möchte, anstatt die Last der Anpassung allein auf die Schultern von Betroffenen zu legen. Diese scheinbar gegensätzlichen Ansätze – der eine nach innen, auf die individuellen Prozesse ausgerichtet, der andere nach außen, auf die gesellschaftliche Veränderung zielend – ließen mich lange glauben, ich müsste mich entscheiden, welcher Weg der richtige ist.


Mit der Zeit wird mir klarer: Psychologie und Feminismus können eine kraftvolle Synergie bilden, wenn sie sinnvoll miteinander kombiniert werden. Hand in Hand können sie dafür sorgen, unser Verständnis von uns selbst und der Welt zu vertiefen, und zu ganzheitlichen Heilungsprozessen beitragen.


Die Psychologie als Lupe für patriarchale Auswirkungen


Der Feminismus hat uns gelehrt, dass wir in einer Welt leben, die historisch und strukturell vom Patriarchat geprägt ist. Doch wie wirken sich diese Strukturen auf unser Innerstes aus? Hier kommt die Psychologie ins Spiel: Sie bietet die Werkzeuge, um zu entschlüsseln, wie gesellschaftliche Normen und Machtdynamiken unsere individuelle Psyche formen. Sie wird zur Lupe für das, was in unserem Inneren durch äußere Gegebenheiten entstanden ist.


Wir können analysieren, wie starre Rollenvorstellungen oder Unterdrückungsmechanismen psychische Belastungen wie Depressionen, Angststörungen oder Essstörungen mitverursachen – und das nicht nur bei Frauen*, sondern auch bei Männern*. Ein Junge, der lernt, seine Traurigkeit zu unterdrücken, oder ein Mädchen, das zurückhaltend und brav sein muss, leiden als Erwachsene beide unter den langfristigen psychologischen Konsequenzen veralteter Vorstellungen. Der Feminismus zeigt uns diese Missstände auf, die Psychologie hilft uns, die Auswirkungen zu verstehen und zu bearbeiten.


Stereotypen dekonstruieren


Wie oft hören wir Sätze wie „Frauen sind gerne für andere da“ oder „Männer wollen nicht über Gefühle reden“? Diese geschlechtsbezogenen Stereotypen sind so tief in unserer Gesellschaft verwurzelt, dass sie unbewusst wirken und unsere Wahrnehmung und unser Verhalten steuern. Wenn man sich mit solchen Zuschreibungen konfrontiert sieht, sich aber im Grunde seines Herzens anders fühlt bzw. nicht damit identifizieren oder die entsprechende Erwartung nicht erfüllen kann, kann ein schmerzhafter Prozess der Verunsicherung und Selbstabwertung entstehen. Wir suchen die Schuld oder Verantwortung bei uns selbst und fühlen uns falsch, denn die Stereotypen vermitteln: "Mit dir stimmt etwas nicht."


Eine feministisch ausgerichtete Psychologie hinterfragt genau diese Annahmen kritisch. Sie deckt auf, wie Stereotypen unsere Wahrnehmung, unser Verhalten und letztlich unsere Lebensgestaltung beeinflussen. Sie zeigt, dass solche Geschlechtszuschreibungen soziale Konstruktionen sind. Indem wir diese Konstruktionen entlarven, können wir ein differenzierteres und wahrhaftigeres Bild des Menschen zeichnen und uns von der Last persönlicher Schuld befreien, die eigentlich gesellschaftlich bedingt ist. Wir können innerlich und äußerlich freier werden und uns überlegen, wer und wie wir sein wollen.


Gewalt und Diskriminierung: Psychologische Folgen berücksichtigen


Ein zentrales Anliegen des Feminismus ist der Kampf gegen Gewalt und Diskriminierung. Doch welche psychologischen Auswirkungen hat häusliche Gewalt, sexuelle Belästigung oder alltägliche Misogynie auf die Betroffenen? Ich selbst habe im Laufe meines Lebens solche Erfahrungen machen müssen und weiß, wie schwer es ist, Wege des Umgangs zu finden. Genau hier offenbart sich die Stärke der Verbindung zwischen Psychologie und Feminismus.


Der Feminismus liefert die übergeordnete Erklärung und zeigt auf, dass solche Erfahrungen Ausdruck patriarchaler Machtstrukturen sind. Die Psychologie wiederum kann äußerst hilfreich sein, um die tiefgreifenden psychologischen Folgen für Opfer zu verstehen und zu bearbeiten. Sie hilft uns, die Dynamik von Gewalt zu verstehen, und ermöglicht es, effektive Präventions- und Interventionsstrategien zu entwickeln. Die Verbindung von Feminismus und Psychologie ist unerlässlich, um eine umfassende Unterstützung für Betroffene zu gewährleisten, die von gesellschaftlicher Prävention bis zur psychologischen Traumatherapie reicht.


Therapie neu denken: Gendersensibel und empowernd


Der Feminismus kann die Psychologie maßgeblich bereichern, wenn sie es denn zulässt. Und zwar, indem er dafür sorgt, dass Psychotherapien endlich gesellschaftskritischer und gendersensibler werden. Es gibt in diesem Bereich bereits Entwicklungen, doch das Bewusstsein dafür muss noch stärker wachsen und in der therapeutischen Praxis breiter verankert werden.


Das haben mir nicht zuletzt meine eigenen Therapieerfahrungen gezeigt: Ich habe selten die Erfahrung gemacht, dass gesellschaftliche Aspekte aktiv berücksichtigt worden sind. Am Ende stand mein individuelles "Problem" im Fokus, und es war klar, dass es meine Aufgabe ist, mein Verhalten zu ändern, um wieder zurechtzukommen. Echtes Empowerment innerhalb einer Psychotherapie entsteht meiner Ansicht nach nur dann, wenn ich erst einmal große Entlastung erlebe durch die Erkenntnis: "Die Umstände sind herausfordernd, ich bin nicht das Problem." Von der Last der Selbstabwertung befreit, eröffnet sich dann ein Möglichkeitenraum, um sich im Dickicht der äußeren Erwartungen und Anforderungen den eigenen Weg zu bahnen, und zwar in aller Ruhe und mit größter Milde für die eigene Persönlichkeit. Erst hier kann echte Verantwortungsübernahme für das eigene Verhalten entstehen, weil ich erkannt habe: "Das ist der Rahmen, in dem ich mich bewege. Und hier sind trotz aller Herausforderungen die Spielräume, die ich zum Gestalten habe."


Für eine gerechtere und gesündere Welt


Letztlich arbeiten sowohl Psychologie als auch Feminismus auf ein vergleichbares Ziel hin, wenn auch aus unterschiedlichen Blickwinkeln: nämlich das Wohlbefinden von Menschen zu verbessern. Der Feminismus strebt eine gleichberechtigtere Welt an, während die Psychologie unser Verständnis des menschlichen Erlebens, Fühlens und Verhaltens vertieft und wertvolle Strategien dazu vermittelt.


Wie am Anfang erwähnt, frage ich mich persönlich noch immer, wie sich diese beiden Disziplinen sinnvoll verbinden lassen. Es ist letztlich das sensible Ineinandergreifen, es sind die möglichen Synergieeffekte, die wir aktiv nutzen können, um Menschen besser zu verstehen und zu unterstützen. Dazu gilt es jedoch weiterhin, Lücken zu schließen, und Psychologie und Psychotherapie feministischer zu denken und auszurichten. Genau das versuche ich mit meiner Arbeit zu tun, indem ich die Verbindung zwischen feministischer Analyse und psychologischem Wissen herstelle und vertiefe. Durch das Zusammenbringen von Psychologie und Feminismus schaffen wir nicht nur ein milderes Verständnis für uns selbst, sondern auch die Werkzeuge für eine gesündere und gerechtere Zukunft für alle.


Ich bin gespannt, ob dich mein Text zum Nachdenken angeregt hat. Vielleicht entdeckst du auf deinem Weg auch Momente, in denen die Verbindung zwischen Feminismus und Psychologie ganz deutlich wird – oder dir sogar neue Perspektiven eröffnet.


 Johanna


 
 
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